„Große Welle der Hilferufe kommt noch“
Bildtext: Ein Kummertelefon hat die Caritas Biberach-Saulgau in Zusammenarbeit mit der Diakonie für Menschen eingerichtet, die unter den Auswirkungen der Corona-Krise leiden. (Foto: Uli Deck/dpa)
Biberach. Auch die Beratungsstellen der Caritas spüren die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Gerade Menschen, die ohnehin nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, trifft die Krise häufig mit Wucht. Davon und von speziellen Angeboten der Caritas an alle Hilfesuchenden im Zusammenhang mit Corona berichtet Andrea Hehnle, Leiterin des Fachbereichs Integrierte Hilfen für Familien bei der Caritas Biberach-Saulgau, im Gespräch mit Roland Ray.
Frau Hehnle, zahlreiche Menschen, die wegen der Folgen der Corona-Krise in Not sind, wenden sich an die Beratungsstellen der Caritas. Wie können Sie ihnen helfen?
Wir versuchen die Menschen zu ermutigen und zu begleiten, beraten sie in finanziellen und rechtlichen Fragen, sprechen mit ihnen über seelische Probleme. Wir prüfen, ob alle Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen, ausgeschöpft sind, und setzen Spenden für Soforthilfen ein. Im März, als das Coronavirus sich auch bei uns ausbreitete, haben wir in Zusammenarbeit mit der Diakonie in Biberach ein Kummertelefon und mit weiteren Jugendhilfeeinrichtungen aus dem Landkreis eine Hotline für gestresste Eltern eingerichtet.
Klingeln die Telefone oft?
Eltern melden sich eher spärlich. Das sind dann häufig Entlastungsanrufe, Mütter und Väter, die mal ihr Herz ausschütten möchten. Wir hören zu und geben ihnen den ein oder anderen Tipp, wie sich die häusliche Situation entspannen lässt. Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut zu bringen, ist tatsächlich nicht immer leicht.
Und das Kummertelefon?
Da läuft mehr.
Können Sie Beispiele nennen?
Neulich rief ein alleinerziehender Vater aus einer Kreisgemeinde an. Er bezieht Arbeitslosengeld II, ist Allergiker, sein Sohn ebenfalls; einen Teil ihrer Medikamente müssen sie, weil nicht verschreibungspflichtig, selber bezahlen. Der Sohn besucht ein Internat, ist jetzt aber zu Hause, weil die Schule geschlossen ist, genau wie der Tafelladen, in dem der Vater sonst günstig einkaufen kann. Dem Mann ist in dieser Situation schlicht das Geld für Lebensmittel ausgegangen.
Was haben Sie gemacht?
Wir haben in dieser telefonischen Beratungssituation mit ihm geprüft, ob er seine gesetzlichen Ansprüche ausgeschöpft hat, und uns Zeit genommen, einen individuellen Lösungsweg für seine Situation anzudenken. Als Soforthilfe erhielt er Gutscheine für Lebensmittel und 200 Euro in bar.
Das scheint kein Einzelfall zu sein.
Wenn die Tafelläden zu sind, stoßen viele ihrer Kunden schnell an Grenzen. Vor allem von Mitte März bis Anfang Mai haben wir eine Menge Lebensmittelgutscheine ausgeteilt, und kleinere Geldbeträge. In dieser Zeit sind Menschen finanziell stark unter Druck geraten, darunter war auch ein junges Ehepaar mit Kind aus einer Kreisgemeinde. Er, arbeitslos, hatte eine Stelle bei einer Reinigungsfirma in Aussicht, doch Anfang April sagte ihm die Firma ab wegen schlechter Auftragslage. Seiner Frau brachen unterdessen die Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung weg, weil der Betrieb wegen Corona erst einmal schließen musste.
Gibt es eine Dunkelziffer, sprich: Menschen in Not, die sich scheuen, um Unterstützung bei Behörden und gemeinnützigen Organisationen anzufragen?
Davon gehe ich aus. Viele kostet es enorme Überwindung, sich zu melden, andere lassen es, weil sie sich schämen und Angst haben, bloßgestellt zu werden. Gerade bei Altersarmut merken wir das deutlich, in Gesprächen ist es häufig Thema. Die Denke „Wer arm ist, ist selber schuld“, ist in unserer Gesellschaft leider noch immer weitverbreitet.
Wie hilft die Caritas Menschen, die wegen Corona mental in ein Loch gefallen sind oder bei denen die Pandemie psychische Probleme verschärft?
Eine Anlaufstelle ist unsere psychologische Familien- und Lebensberatung. Persönliche Ansprache ist in solchen Fällen wichtig und wertvoll, in Zeiten von Corona und Kontaktverboten wird deshalb auch „Beratung to go“ angeboten: Helfer und Hilfesuchende sprechen bei einem Spaziergang miteinander.
Sie sind bei der Caritas in Biberach auch zuständig für die „Kontaktstelle Kinderchancen“. Was beschäftigt Sie aktuell in dieser Hinsicht besonders?
In Familien, in denen es bisher schon schwierig war in Sachen Bildung, ist es in den vergangenen Monaten mit Sicherheit nicht leichter geworden. Wie wird der Wissensstand dieser Kinder jetzt sein, und wie wirkt sich das im nächsten Schuljahr aus? Solche Fragen beschäftigen uns schon. Das fängt ja oft schon mit der technischen Ausstattung zu Hause an. Aus meiner Sicht steht zu befürchten, dass sich die Ungleichheit bei den Bildungschancen durch die Corona-Krise verschärft.
Gibt es da für Sie Möglichkeiten, Kinder und Familien zu unterstützen?
Die Kinderstiftungen der Caritas im Kreis Biberach und im Dekanat Saulgau haben Kontakt zu Schulen aufgenommen und bieten an, sie bei der Beschaffung digitaler Geräte, die dann an entsprechende Familien weitergegeben werden, finanziell zu unterstützen. Das läuft aber gerade erst an.
Nach Wochen des „Lockdowns“ treten jetzt zunehmend Lockerungen in Kraft. Werden damit auch die Hilferufe, die Sie erreichen, weniger?
Ich vermute stark, dass die große Welle erst noch kommt.
Wie das?
Aus mehreren Gründen. Kurzarbeitergeld bekommen momentan viele, aber wird am Ende jeder seinen Arbeitsplatz behalten? Und was ist mit Kindern, die häuslicher Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind? Da bleibt wegen der Kontaktverbote, Kita- und Schulschließungen zurzeit manches verborgen. Wir gehen davon aus, dass sich etliche Erzieherinnen und Lehrer an uns wenden werden, wenn die Schulen und Kitas wieder im Normalbetrieb sind und sie von Kindernöten erfahren. Nur weil man jetzt weniger hört und mitbekommt, sind die Probleme ja nicht verschwunden. Das gilt auch für Gewalt gegen Frauen.
Spenden, mit denen Notlagen infolge der Krise gelindert werden sollen, erfüllen also weiterhin ihren Zweck?
Vollauf. Wir können das Geld wirklich gut gebrauchen, um Menschen beizustehen.
MiteinanderFüreinander – niemanden aus dem Blick verlieren
Menschen, die von den Auswirkungen der Corona-Krise hart getroffen wurden, wenden sich in ihrer Not an die Beratungsstellen der Caritas. Die Ratsuchenden benötigen fachlichen, emotionalen und für kurze Zeit auch finanziellen Beistand. MiteinanderFüreinander wollen wir ihnen beim Weg aus der Krise zur Seite stehen. Spenden Sie jetzt für die Ermöglichung von Soforthilfe und die vorübergehende Ausweitung des Beratungsangebots. Ab einer Spende von 200 Euro erhalten Sie vom Caritasverband automatisch eine Zuwendungsbestätigung. Dafür ist es wichtig, dass Sie bei der Überweisung Ihre vollständige Adresse angeben.
Spendenkonto Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e. V.
Bank für Sozialwirtschaft Stuttgart
IBAN: DE90601205000001708800
BIC: BFSWDE33STG
Stichwort: MiteinanderFüreinander
www.caritas-spende.de
Zur Person
Andrea Hehnle ist Heilpädagogin. Bei der Caritas Biberach-Saulgau leitet sie den Fachbereich Integrierte Hilfen für Familien. Dazu gehören die allgemeine Sozialberatung, Frauenschutzhaus und katholische Schwangerschaftsberatung und die Kontaktstelle Kinderchancen.