Sucht im Alter ist weit verbreitet
Biberach - Die Häufigkeit alkoholbedingter Störungen ist in den vergangenen fünf Jahren bei AOK-Versicherten ab 60 Jahren um jährlich 2,3 Prozent gestiegen. Das berichtet die Krankenkasse. Ermittelt wurden Zahlen zu stationären und ambulanten Behandlungsfällen. Das Phänomen des sogenannten Komasaufens nahm in dieser Altersgruppe ebenfalls jährlich um 0,5 Prozent zu.
2017 befanden sich in Baden-Württemberg laut AOK-Studie 22 371 Versicherte ab 60 Jahren wegen Alkoholsucht in Behandlung, davon 6081 Frauen und 16 290 Männer. Männer seien in allen Altersgruppen deutlich häufiger betroffen als Frauen. Beim Komasaufen mussten 2017 insgesamt 1471 Versicherte stationär behandelt werden, davon 388 Frauen und 1083 Männer.
Dass das Thema Alkohol im Alter eine Rolle spielt, weiß auch Daniela Wiedemann von der Caritas Biberach-Saulgau. Sie hat in den vergangenen drei Jahren das Projekt "Gesa" (Gesund und selbstbestimmt altern) koordiniert. Das Angebot richtete sich an ältere suchtkranke Menschen und ihre Angehörigen. "Der Bedarf ist auf jeden Fall da", sagt Daniela Wiedemann. "Viele Menschen sind zu uns gekommen, haben sich beraten und auch helfen lassen."
Das Projekt ist nun beendet, der Bedarf besteht jedoch weiterhin. Wie es weitergeht, weiß die Expertin noch nicht. "Die Suchthilfeplanung im Landkreis wird gerade neu aufgelegt, wir hoffen, dass das Thema aufgegriffen wird", sagt Wiedemann. "Unsere Suchtberatungsstellen kümmern sich aber natürlich weiterhin um die Betroffenen und ihre Angehörigen, das Projekt war eben speziell auf ältere Menschen abgestimmt."
Bei einer Suchterkrankung im Alter gebe es einiges zu beachten: "Da spielt auch Medikamentensucht eine große Rolle", weiß die 43-Jährige. "Und vor allem das Zusammenspiel von Alkohol und Medikamenten ist eine gefährliche Mischung." Wer zum Beispiel Bluthochdruck habe und dann noch viel Rotwein trinke, bei dem steige der Blutdruck noch mehr an. "Wenn Menschen aber schon sehr lange trinken, ist es schwer, sie ganz davon wegzubekommen", sagt die Expertin. "Eine Reduktion wäre da schon ein Erfolg." Kontrolliertes Trinken könne also ein erster Schritt sein.
Wobei es durchaus auch Beispiele von Menschen gebe, die es geschafft hätten: "Wir hatten mal einen 80-Jährigen, der in einer Suchtklinik war, dort den Entzug durchgezogen hat und dann zu Hause plötzlich eine ganz andere Lebenseinstellung hatte." Den einen erfolgversprechenden Therapieansatz gebe es also nicht: "Wir beraten jeden ganz individuell." Einsamkeit und Alleinsein spiele im Alter eine entscheidende Rolle: "Viele greifen zum Alkohol, wenn zum Beispiel der Partner stirbt." Oder auch, um körperliche Schmerzen bei Krankheiten auszublenden oder besser zu ertragen. "Für eine Sucht gibt es die unterschiedlichsten Gründe."
Immer noch ein Tabuthema
Die Anlaufstelle ist vor allem auch für Angehörige sehr hilfreich. Betroffene würden sich eher selten von sich aus melden. "Angehörige leiden aber sehr unter der Suchterkrankung ihrer Familienmitglieder und sind froh über jede Hilfe", sagt Daniela Wiedemann. "Wir haben festgestellt, dass viele auch einfach mehr Information und Aufklärung brauchen, um besser mit dem Thema umgehen zu können." Denn Sucht, egal in welchem Bereich, sei einfach immer noch ein großes Tabuthema, über das man nicht gerne spricht.
Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige ist die psychosoziale Beratungsstelle der Caritas. Infos unter Telefon 07351/5005170 oder per E-Mail an suchtberatung@caritas-biberach-saulgau.de